Herzlich willkommen am Institut für Wesenskunde! Mein Name ist Hope Cavendish und ich werde Sie in diesem Semester im Seminar »Know Your Vampire« über die Eigenschaften und Fähigkeiten der blutsaugenden Spezies Vampir aufklären und über den Irrglauben, der unter den Menschen diesbezüglich herrscht.
Vorab eine kleine Triggerwarnung: Dieses Seminar ist nichts für zartbesaitete Seelen. Es werden Bilder gezeigt, Fakten dargelegt und Filmausschnitte präsentiert, die dem einen oder anderen Gemüt unwohl aufstoßen könnten.
Auf den Tischen vor sich finden Sie Spucktüten, die uns freundlicherweise von unserem Sponsor Transsylvanian Airlines zur Verfügung gestellt wurden. Zögern Sie nicht, von diesen Tüten Gebrauch zu machen, falls Sie erste Anzeichen eines Rückstaus Ihres heutigen Frühstücks in Ihrer Speiseröhre bemerken!
Unser heutiges Thema trägt den Titel »Der gewöhnliche Vampir und das Sonnenlicht«. Gemeinhin herrscht in der Bevölkerung eine große Unsicherheit darüber, was denn mit einem Vampir passieren müsste, sobald er ins Sonnenlicht tritt. Es gibt hierzu verschiedene Theorien widersprüchlicher Natur und eine davon demonstriert der folgende Filmausschnitt. Film ab!
Hier sehen wir ein junges Liebespaar, das durch einen nebligen Wald spaziert. Jetzt nimmt der junge Mann das Mädchen huckepack und rast mit ihr den Berg hinauf. Kurz zuvor hat das Mädchen herausgefunden, dass ihr Geliebter ein Vampir ist und an seiner Geschwindigkeit sehen Sie dies bestätigt. Als die beiden eine Stelle erreichen, die das Sonnenlicht erreicht, setzt der junge Mann das Mädchen ab, öffnet Hemd und Jacke und stellt sich in die Lichtstrahlen. Nun fängt seine Haut an zu glitzern, als wäre sie von unzähligen kleinen Diamanten übersät. Sehen Sie das Funkeln? Hören Sie das leise Klirren, das die Glitzerwirkung des jungen Mannes akustisch verstärken soll?
Oha, das tut mir jetzt leid! Aber ich hatte Sie ja vorab gewarnt. Ja, lassen Sie nur alles heraus, einfach immer in die Spucktüte. Oh, Sie auch? Nein, das muss Ihnen nicht peinlich sein, die Szene ist ja auch nur schwer zu ertragen.
Dort hinten ist eine Wortmeldung. Ja, bitte? Sie finden, dass das Glitzern die Romantik zwischen den beiden zerstört? Trösten Sie sich, da sind Sie nicht die Einzige.
Haben sich jetzt alle so weit entleert? Zu Ihrer Beruhigung, liebe Herrschaften, kann ich Ihnen versichern, dass diese Aufnahmen nicht echt sind. Sie sind ein Fake!
Diese Aufnahmen tauchten vor ein paar Jahren auf, um uns glauben zu machen, Vampire müssten das Sonnenlicht meiden, weil sie sonst durch das Glitzern ihrer Haut entlarvt würden. Der Ursprung dieser Aufnahmen ist leider bis heute ungeklärt, aber es wird vermutet, dass sie von der Anti-Vampir-Liga lanciert wurden, um das Ansehen der Vampire ins Lächerliche zu ziehen.
Jetzt möchte ich Ihnen allerdings demonstrieren, was tatsächlich mit einem Vampir geschieht, wenn er sich dem Sonnenlicht aussetzt. Ich habe dazu etwas vorbereitet. Würden Sie bitte diese Glastiegel herumreichen? Ja, bitte einfach weiterreichen, ich habe genug für alle mitgebracht. Öffnen Sie nun bitte alle Ihre Tiegel. Sie finden darin ein graues Pulver, das Sie gerne ein wenig genauer untersuchen dürfen. Befühlen Sie es ruhig einmal mit den Fingern oder riechen Sie auch daran.
Liebe Studierende, was Sie da gerade mit Ihren Fingern ertasten, sind die Überreste eines Vampirs, der nicht widerstehen konnte, am helllichten Tag das Haus zu verlassen. Spüren Sie die feinpudrige Konsistenz? Riechen Sie den modrigen Duft längst vergangener Epochen?
Sie sind vollkommen überzeugt? Dann müssen Sie jetzt leider ganz tapfer sein, denn was ich Ihnen gerade erzählt habe, ist völlig Humbug, um nicht zu sagen: hanebüchener Schwachsinn!
Sie da vorne, ja, genau Sie. Was Sie da eben gerade so genüsslich zwischen Ihren Fingern zerrieben haben, ist nichts weiter als der Inhalt des Zuzelix 2000, meines zugegebenermaßen schon etwas in die Jahre gekommenen Staubsaugers.
Ein Vampir zerfällt nun mal nicht einfach so zu Staub – zumindest nicht dadurch, dass er sich dem Tageslicht aussetzt …
Und ebenso wenig geht er dabei in Flammen auf und hinterlässt dabei ein Häufchen Asche.
Die meisten, ja wirklich die allermeisten Exemplare des gewöhnlichen Vampirs, sind normale Daywalker. Das bedeutet, sie können ebenso wie wir Menschen am helllichten Tag – und auch bei Sonnenschein – umherwandeln, ohne dadurch irgendeinen Schaden zu nehmen.
Wer annimmt, im Sonnenlicht zu Staub zu zerfallen, gehöre sich schlichtweg so für einen Vampir, weil dies schon Dracula so passiert sei, dem empfehle ich, die Abhandlung des renommierten Vampirologen Bram Stoker über den blutsaugenden Grafen einmal zur Hand zu nehmen. Dort findet sich nämlich in der Abschrift von Mina Harkers Tagebuch am 22. September ein Bericht, gemäß dem Mina und Jonathan Harker dem Grafen Dracula in London an einem sonnigen Herbsttag begegnet sind. Somit ein untrüglicher Beweis für die Tageslichtauglichkeit des Grafen.
Mit meinen Zeitgenossen (https://zeitgenossen-romane.de) verhält es sich übrigens ähnlich, auch ihnen kann das Sonnenlicht rein gar nichts anhaben. Damit hierüber auch gar nicht erst Missverständnisse entstehen, habe ich einst eigens entsprechende Buttons anfertigen lassen.
Natürlich gibt es vereinzelt ein paar Vampirexemplare, die dennoch ihre Schwierigkeiten mit dem Tageslicht haben. Des Weiteren gibt es noch zahlreiche weitere Irrtümer über die Eigenschaften von Vampiren. All das werden wir in den nächsten Stunden behandeln. Für heute sind wir allerdings vorerst am Ende angelangt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
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Infos zu den Zeitgenossen
Wie muss es wohl sein, wenn die Welt um einen herum sich im Laufe der Jahrhunderte verändert? Wie sehr verändert man selbst sich dabei? Oder schafft man es dennoch, sich im Grunde treu zu bleiben?
Im Mittelpunkt der historischen Vampirromanserie von Hope Cavendish steht die Vampirin Gemma, die 1599 in London in eine Vampirin verwandelt wird und im Laufe der Jahrhunderte lernt, was es bedeutet unsterblich zu sein. Sie wird zur Zeitzeugin vieler historischer Ereignisse, erlebt Kriege, Entdeckungen und Revolutionen, begegnet der Liebe, dem Kampf und dem Tod. Bei ihren Abenteuern trifft Gemma auf gefährliche Feinde und findet dennoch auch echte Freunde, die allesamt ihre Wegbegleiter werden.
Ihre Zeitgenossen.